Die Via Engiadina ist ein Weitwanderweg, der von Maloja im Oberengadin bis nach Vinadi im Unterengadin führt. Nachdem wir vor einigen Jahren bereits die Tour durch das Unterengadin gemacht haben, war nun das Oberengadin an der Reihe.
Um nicht nach einer knapp fünfstündigen Zugfahrt gleich die erste Etappe unter die Füsse nehmen zu müssen, sind wir am Montagabend nach Maloja angereist, damit wir am Dienstag ausgeschlafen starten konnten. Einen ersten kleinen Schreckmoment gab’s in St. Moritz, als wir von der Rhätischen Bahn in den Bus nach Maloja umsteigen mussten. Die Haltestelle war bereits übervoll mit Menschen und wir bereiteten uns geistig auf eine 30-minütige Postautofahrt im Stehen vor. Doch wir hatten Glück: Als das Postauto anhielt, war direkt vor unserer Nase eine Türe und wir konnten ohne grosses Gedränge in den leeren Bus einsteigen und uns hinsetzen.

Übernachtet haben wir im Hotel Maloja Kulm. Das schön eingerichtete und saubere Hotel eignet sich perfekt als Ausgangspunkt für die Via Engiadina. Die Gastgeber und ihr Personal sind sehr herzlich und das Essen super, wenn auch nicht ganz günstig. Den Abend ausklingen lassen haben wir mit einem «Giüst»-Gin aus dem nahegelegenen Valchiavenna. Speziell daran ist, dass dieser Gin mit einem grossen Stück Granit im Glas serviert wird – ein perfekter Drink für Bergfans – für die Kellnerinnen ist das Servieren der Getränke allerdings jeweils ein kleiner Kraftakt.

Allgemeine Anforderungen
Die gesamte Via Engiadina ist sehr gut beschildert (Routen-Nr. 87) und ein Verirren ist unter normalen Umständen so gut wie ausgeschlossen. Deshalb verzichte ich in den nachfolgenden Etappen-Berichten auf ausführliche Wegbeschreibungen und vermerke nur, wenn auf einem Abschnitt technisch etwas besonders zu beachten sein sollte. Kondition und Trittsicherheit sind aber auf der gesamten Weitwanderung notwendig, da die Strecke ausschliesslich über Bergwanderwege führt (T2/3, weiss-rot-weisse Markierungen). Meistens bewegt man sich in Höhen zwischen 1900 und 2500 Meter.
Ausrüstung
Gute Schuhe mit einer griffigen Sohle sind auf der Via Engiadina Pflicht. Wer über genügend Bergerfahrung verfügt, kann die Wanderung locker in bergtauglichen Multifunktionsschuhen machen, für alle anderen empfehle ich knöchelhohe Wanderschuhe. Ansonsten sollte man der Jahreszeit entsprechend packen und daran denken, dass das Wetter im Gebirge sehr schnell umschlagen und es auch im Hochsommer schneien kann. Falls jemand, so wie wir, das gesamte Gepäck für eine Woche auf dem Rücken tragen und es nicht von Hotel zu Hotel fahren lassen will, sollte unbedingt auch Stöcke dabeihaben.
Die einzelnen Etappen
In den Etappen-Berichten wird beschrieben, was wir auf den jeweiligen Etappen erlebt haben, welche Unterkünfte sich bewährt haben (oder auch nicht), wo man sich mit Lebensmitteln eindecken kann und wo es besondere Sehenswürdigkeiten gibt.
Etappe 1: Maloja – Silvaplana
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit regionalen Spezialitäten im Hotel Maloja Kulm haben wir uns am Dienstagmorgen in der Latteria, dem einzigen Lebensmittelladen in Maloja, mit Proviant eingedeckt. Der Laden ist zwar winzig, bietet aber alles, was man für einen guten Wanderproviant braucht. Zu finden ist er im Dorfzentrum, man kommt zwangsläufig daran vorbei, wenn man vom Hotel Maloja Kulm zum Einstieg der Via Engiadina läuft. Letzterer befindet sich übrigens leicht versteckt hinter den Hotel Longhin am Dorfausgang von Maloja.
Die erste Etappe der Via Engiadina führt gleich zu Beginn von Maloja (1809 m) nach Blaunca auf 2039 m, dem höchsten Punkt dieser Etappe. Danach geht es weiter entlang von prächtigen Blumenwiesen, Weiden, an Alphütten vorbei und der Maiensäss-Siedlung Grevasalvas, wo 1978 die TV-Serie Heidi gedreht wurde.

Nach einem kurzen Anstieg nach der Siedlung wird der Weg gerölliger. Dort kam uns eine etwas missmutige Touristin aus Deutschland mit ihrem Mann entgegen. Die Frau fragte uns, ob der Weg bis Maloja «weiterhin so blöd» wäre. Ein Blick auf ihre (Turn)-Schuhe verriet uns, weshalb sie diesen an und für sich leichten Bergwanderweg als «blöd» bezeichnete. Auch wenn die Via Engiadina technisch nicht sehr anspruchsvoll ist, mit den falschen Schuhen macht das Wandern dort keinen Spass.
Kurz danach kamen wir an einer kleinen Höhle vorbei, die uns Schatten spendete und in der wir Mittagspause machten. Der Rest des Weges bis nach Silvaplana führt dann fast durchgehend leicht abwärts und oft durch schattige Waldstücke.
Auf der gesamten Strecke zwischen Maloja und Silvaplana bieten sich immer wieder traumhafte Ausblicke auf den Lej da Segl (Silsersee) und den Lej da Silvaplauna (Silvaplanersee).


Übernachtet haben wir im Hotel Chesa Surlej in Silvaplana, einem sauberen kleinen Drei-Sterne-Hotel im Ortsteil Surlej, der während unseres Aufenthalts leider vor allem durch leerstehende Ferienapartments bestach. Da wir am nächsten Tag über 1000 Höhenmeter Aufstieg vor uns hatten, war uns das egal und wir sind nach einer Portion Capuns und Pizokel früh ins Bett.
Details zur 1. Etappe
- Einkehr/Unterkunft: Maloja, Grevasalvas, Silvaplana
- Verpflegung kaufen: Latteria Maloja
- Gehzeit: 4,5 bis 5 Sunden
- Schwierigkeit: T2/3

Etappe 2: Silvaplana – Celerina
Die zweite Etappe unserer Weitwanderung auf der Via Engiadina war zugleich die anstrengendste: Vor uns lagen rund 5,5 Stunden Wanderzeit und über 1000 Meter Aufstiege. Deshalb haben wir uns im Volg in Silvaplana mit reichlich Wasser und Proviant eingedeckt. Volg-Läden gehören übrigens quasi zur Grundausstattung von Schweizer Bergdörfern und -gemeinden, wo keiner der grossen Detailhändler zu finden ist.
Hier erfährst du mehr über den Volg und die Eigenheiten der Schweizer Bergwelt
Die Route der zweiten Etappe führt von Silvaplana (1877 m) erst durch ein kurzes Waldstück nach Orchas (2197 m), dann weiter über die Alp Suvretta (2211 m) hinauf auf die Corviglia (2488 m) und den Lej Alv auf 2532 m, dem höchsten Punkt dieser Etappe.


Vor allem der zweite Teil der Strecke führt mehrheitlich durch Skigebiete, die im Sommer leider optisch nicht sonderlich attraktiv sind. Hinzu kam an unserem Wandertag, dass es auch auf über 2500 Meter noch relativ heiss war und wir doch ziemlich erledigt in Marguns ankamen, von wo wir mit der Gondelbahn hinunter nach Celerina fuhren. Celerina wird übrigens «Zelerina» ausgesprochen und nicht, wie man oft hört «Tschelerina». Und: Dank seiner exponierten Lage erfreut sich Celerina mehr Sonnenstunden als jeder andere Ort des Engadiner Hochtals.
Weil wir ja bereits wussten, dass die Etappe von Silvaplana nach Celerina ziemlich anstrengend werden würde, hatten wir im Vorfeld ein Zimmer im Vier-Sterne-Hotel Cresta Palace reserviert, zu dessen Angebot auch ein kleines Spa gehört, wo wir unsere müden Beine entspannen konnten.

Nach einem ausgiebigen Apéro mit Hugo und lokalem Palü-Bier im schönen Hotel-Park gönnten wir uns ein feines Abendessen in einem der vier Restaurants des Hotels – und zwar in «Giacomo’s Ristorante». Einem, wie der Name schon erahnen lässt, italienischen Lokal. Das Essen war hervorragend, der Service für ein 4-Sterne-Haus etwas chaotisch.
Wegen des aktuellen Personalmangels in der Gastronomie arbeiten derzeit viele Serviceangestellte aus Italien in den Engadiner Hotels und Restaurants, die oft nur sehr wenig Deutsch oder Englisch sprechen. Entsprechend kommt es hin und wieder zu Missverständnissen. So wurden wir beim Abendessen beispielsweise mehrmals gefragt, was wir bestellt hätten – um dann anschliessend doch das Falsche zu erhalten. Auch die Wartezeiten waren etwas sehr lang. Aber wir waren ja in den Ferien und hatten Zeit, weshalb uns das nicht sonderlich gestört hat. Dafür gab’s zum Dessert eine kleine Überraschung: Dieses wurde uns nämlich von Küchenchef Giacomo persönlich serviert, mit einem «Mi dispiace» für die «etwas chaotischen» Umstände.
Nach einem Absacker-Drink, einem Orma-Gin, der in der höchstgelegenen Whisky-Destillerie der Welt in Silvaplana produziert wird, sanken wir zufrieden und satt in die sehr angenehmen Hotelbetten des Cresta Palace.
Details zur 2. Etappe
- Einkehr/Unterkunft: Silvaplana, Corviglia, Marguns, Celerina
- Verpflegung kaufen: Volg Silvaplana
- Gehzeit: 5,5 bis 6 Sunden
- Schwierigkeit: T2/3

Etappe 3: Celerina – Bever
Auf der dritten Etappe der Via Engiadina erwarteten uns lediglich rund 270 Meter Aufstieg und 833 Meter Abstieg. Sie führt von der Bergstation Marguns (2276 m) auf schmalen Pfaden auf den Munt da la Bês-cha (2489 m) und dann hinunter zur Alp Muntatsch (2188 m). Den Weg mussten wir uns mit vielen Mountainbike-Fahrern teilen, was zwar nicht schlimm war, aber auf den manchmal sehr schmalen Wegen etwas schwierig.


Tipp: Wer die Strecke mit dem MTB machen möchte, sollte von Marguns aus starten. Zu Beginn gibt es zwar einige Stellen, wo das Bike hochgeschoben werden muss, danach geht es aber auf einem wunderschönen, technisch nicht allzu schwierigen Flow-Trail hinunter nach Bever.


Bei der Alp Muntatsch machten wir eine kleine Pause. Geführt wird die Alp bereits seit 2010 von der Familie Auer aus Südtirol, die seither jedes Jahr im Sommer mit Sack und Pack ins Engadin zieht. Die Knödelsuppe und der Südtiroler Apfelstrudel von Frau Auer (mit Mürbteig und süssem Rahm) waren hervorragend und gaben uns Energie für die letzten Kilometer bis nach Bever, die mehrheitlich durch schattigen Wald führen.
In Bever übernachteten wir im wunderschönen Historic Hotel Engadin Chesa Salis, in dem jedes Zimmer eine kleine Sehenswürdigkeit ist – und wir bekamen sogar ein spontanes Zimmer-Upgrade. Zum Hotel gehört auch eine grosszügige Gartenanlage, in der sich wunderbar entspannen lässt. Die Speisekarte ist zwar klein, aber das Essen sehr gut und der Service überaus zuvorkommend und freundlich. Kurzum: Wer in Bever Halt macht, sollte im Chesa Salis übernachten und speisen.

Details zur 3. Etappe
- Einkehr/Unterkunft: Celerina, Marguns, Alp Muntatsch, Bever
- Verpflegung kaufen: Volg & Bäckerei Celerina
- Gehzeit: 3 bis 4 Sunden
- Schwierigkeit: T2/3

Etappe 4: Bever – Zuoz
Auch die vierte Etappe der Via Engiadina empfanden wir als nicht sonderlich anstrengend. Nicht zuletzt, weil sie auch wieder oft durch kühlenden Wald führt. Zudem ging an diesem Tag ein leichter Wind, der für zusätzliche Abkühlung sorgte.

Nach knapp der Hälfte der Etappe (bei Punkt 1938) muss man eine Zeit lang auf der Passstrasse gehen, was wegen der heranbrausenden Motorräder und Autos nicht sehr angenehm ist. Hat man diesen Teil überstanden, geht es anschliessend aber wieder durch Waldstücke und entlang von Blumenwiesen gemütlich weiter über God Arschida (1982 m), Plaun dalla Bes-cha (1968 m) und Cuort San Gian (1837 m) nach Zuoz auf 1715 Meter.
In Zuoz übernachteten wir im Hotel Klarer, das mitten im Dorf steht. Der Empfang durch die Chefin persönlich war leider wenig herzlich und wir hatten nicht wirklich das Gefühl, willkommen zu sein. Also haben wir uns entschieden, das Abendessen auswärts einzunehmen – und zwar im kultigen Restaurant Dorta am Dorfrand von Zuoz. Es war eine gute Wahl: Das Essen war gut, es gab Palü-Bier und die Bedienung war sehr freundlich.

Der nächste Morgen im Hotel Klarer begann leider wie unsere Ankunft, mit einer Enttäuschung. Das Frühstücksbuffet war unterirdisch: Käse, Aufschnitt und Brot waren trocken, mein Gipfeli ranzig und die Milch sauer – und das zum doch stolzen Preis von 220 Franken für die Übernachtung in einem kleinen Dachzimmer mit einer gefährlich steilen Wendeltreppe zum Schlafraum. Entsprechend froh waren wir, als wir uns wieder verabschieden konnten.
Im Gegensatz zum Hotel Klarer ist Zuoz aber immer einen Besuch wert, es ist eines der besterhaltensten Engadiner Dörfer mit hübschen Gebäuden. Ein Dorfrundgang lohnt sich deshalb auf jeden Fall.

Tipp: Wer in Zuoz seine Wanderausrüstung erweitern oder erneuern möchte, macht das am besten bei Willy Sport, wo die Inhaberin noch persönlich im Laden steht und Kunden mit viel Humor und Herzblut berät. Eigentlich wollte meine Partnerin dort ja etwas shoppen, hat aber leider nichts Passendes gefunden. Dafür habe ich den Laden mit einer neuen Wanderhose und einem neuen Trucker Cap verlassen. 😊
Details zur 4. Etappe
- Einkehr/Unterkunft: Bever, Zuoz
- Verpflegung kaufen: Volg Bever
- Gehzeit: 3,5 bis 4 Sunden
- Schwierigkeit: T2/3

Etappe 5: Zuoz – Zernez
Die letzte Etappe unserer Weitwanderung auf der Via Engiadina war mit rund 5,5 Stunden und 672 Metern Aufstieg nochmals sehr lang und wegen der steigenden Hitze auch ziemlich anstrengend. Nach einem ersten Anstieg nach Acla Laret (2005 m) und zum höchsten Punkt der Etappe auf 2044 m führt der Weg zum Glück wieder sehr oft durch Waldstücke. Ab Brail (1636 m) geht es dann mehrheitlich abwärts bis nach Zernez, unserem Zielort dieser Weitwanderung.
Wie fast auf der gesamten Via Engiadina läuft man auch auf dieser Etappe an wunderschönen Blumenwiesen vorbei.






In Zernez bezogen wir ein Zimmer mit einem kleinen Gartensitzplatz im Hotel Baer & Post. Eine hervorragende Wahl, wie sich schnell herausstellte. Die Zimmer im Drei-Sterne-Superior-Hotel sind wunderschön und riechen wunderbar nach Arvenholz. Und im grossen Boxspringbett schliefen wir nach einem sehr feinen Abendessen wie ein Murmeltier – oder Muntanella, wie die Rätoromanen sagen.


Details zur 5. Etappe
- Einkehr/Unterkunft: Zuoz, Chapella, Brail, Zernez
- Verpflegung kaufen: Volg Zuoz
- Gehzeit: 5,5 bis 6 Sunden
- Schwierigkeit: T2/3

Fazit
Wir würden die Wanderung jederzeit wieder machen! Das mag sicher auch daran liegen, dass wir während der gesamten Zeit traumhaftes Wetter hatten. Bei Regen wäre die eine oder andere Etappe mit Sicherheit nicht ganz so gemütlich gewesen. Die einzige kleine Regenwolke, die in Celerina kurz über uns aufzog, gab keine Tropfen von sich. Hauptsächlich besticht die Via Engiadina aber durch die wunderschöne Bergwelt, durch die man fünf Tage lang wandert. Zudem sind die Menschen im Engadin sehr gastfreundlich.
Das Chesa Salis habe ich im Winter entdeckt und es war Liebe auf den ersten Blick. Ein ganz besonderes Hotel.
Ja, wirklich sehr besonders und es wird sicherlich nicht unser letzter Besuch dort gewesen sein. Erstaunt hat mich auch das offenbar grosse grosse Vertrauen in die Ehrlichkeit der Gäste: Wein, Champagner, Bier, Schnaps – alles stand in einem grossen Kühlschrank zur Selbstbedienung zur Verfügung, als das Personal Feierabend machte. Sowas habe ich noch nie erlebt.