Zuletzt aktualisiert am 7. Dez. 2022 |

Sucht man auf Wikipedia nach den berühmtesten Bergsteigerinnen und Bergsteigern aus der Zeit zwischen dem 19. Jahrhundert und heute, findet man Namen von 291 Männern und gerade mal von 33 Frauen. Dieses doch ziemlich grosse Ungleichgewicht hat vor allem historische Gründe. Am Berg waren die Frauen nämlich schon immer, nur blieben sie in der Öffentlichkeit lange Zeit unsichtbar.

«Frauen sollten Bergsteigen bestenfalls massvoll und zurückhaltend praktizieren.»

– gängige Meinung im 19. Jahrhundert

Nicht zuletzt, weil Frauen noch bis ins 20. Jahrhundert eine geringere Eignung für den Alpinsport zugesprochen wurde. Bergsteigen sollten sie bestenfalls massvoll und zurückhaltend praktizieren, sonst drohe die Gefahr einer Vermännlichung des weiblichen Körpers. Muskeln und ein im sportlichen Sinn leistungsfähiger Körper galten damals als nicht schicklich für bürgerliche Frauen.

Der erste Alpenclub für Frauen

Bergsteigen war deshalb über Jahrzehnte und Jahrhunderte eine reine Männerdomäne. So erstaunt es auch wenig, dass es zwei Männer waren, die 1857 in Interlaken mit dem «Alpine Club» den ersten Alpenverein der Welt ins Leben gerufen haben. Erst 50 Jahre später, im Jahr 1907, wurde in London mit dem «Lyceum Alpine Club», der erste Damen-Alpenverein der Welt gegründet. Mit ein Grund dafür war, dass sich der Alpine Club beharrlich weigerte, Alpinistinnen in seine Reihen aufzunehmen. Erste Präsidentin des Damen-Alpenclubs war Elizabeth Le Blond, als Ehrenpräsidentin fungierte Königin Margerethe von Italien.

Bezeichnend für diese Zeit ist der Fall der US-amerikanischen Bergsteigerin Margaret Claudia Brevoort (1825 – 1876), die 1874 als erste Frau im Winter das Wetterhorn und die Jungfrau bestiegen hat. Brevoort wurde auf ihren Touren oft von ihrer Hündin Tschingel begleitet. Tschingel wurde später als «Honorary Lady» in den Alpine Club aufgenommen, Brevoort nicht. Dafür trägt im französischen Haut Dauphiné heute der höchste Gipfel der Grande Ruine, die 3765 Meter hohe Pointe Brevoort, ihren Namen. Ihr grösster Traum, die erste Frau auf dem Matterhorn zu sein, blieb Brevoort allerdings verwehrt.

Christian und Ulrich Almer, Margaret Brevoort, die als erste Frau im Winter das Wetterhorn und die Jungfrau bestiegen hat und ihr Neffe W. A. B. Coolidge.
Christian und Ulrich Almer, M. Brevoort, ihr Neffe W. A. B. Coolidge und die Hündin Tschingel (Quelle: Wikipedia)

Das schaffte dafür Lucy Walker (1836 – 1916). Die Britin war die erste Frau, die es auf das Matterhorn geschafft hat. Den Weg zum 4478 Meter hohen Gipfel des markantesten Schweizer Bergs kletterte sie, wie es sich für eine Dame im 19. Jahrhundert ziemte, in langem Rock.

Lucy Walker war die erste Frau auf dem Matterhorn.
Lucy Walker (hintere Reihe, stehend, 3 v. l.) mit Familie, Freunden und Bergführern (Quelle: Wikipedia)

Ebenfalls erste war Marie Paradis (1778–1839). Sie stand 1808 ale erste Frau auf dem Gipfel des 4810 Meter hohen Mont Blanc. Da Paradis aber keinerlei Bergerfahrung hatte, musste sie von ihren Begleitern oft getragen werden und kam laut Überlieferung halbtot auf dem Gipfel an. Über ihre Tour soll sie anschliessend lediglich gesagt haben: «Nie wieder!» Paradis wurde nach ihrer Rückkehr aber eine lokale Berühmtheit und bekam den Namen «Marie Montblanc».

«Nie wieder!»

– Marie Paradis nach ihrer Tour auf den Mont Blanc

In «skandalöser» Kleidung am Berg

Daher gilt als erste «echte» weibliche Besteigerin des Mont Blanc eigentlich Henriette d’Angeville, die 1838 als zweite Frau auf dem Mont Blanc stand. Sie ging den gesamten Weg ohne fremde Hilfe und trug eine damals «skandalöse» Pumphose unter mehreren wattierten Unterröcken und einem Überrock. Nach ihrer Rückkehr wurde sie zwar vereinzelt für ihren sportlichen Erfolg gefeiert, mehrheitlich erhielt sie aber Kritik für ihre «unschickliche Art sich zu kleiden.» Nach dem Mont Blanc bestieg d‘Angeville noch über 20 weitere Berge.

Henriette d’Angeville, die erste Frau auf dem Mont Blanc.
Henriette d’Angeville in der von ihr entworfenen Bergkleidung (Quelle: Wikipedia)

Frauen waren nicht erwünscht

Auch bei der Gründung des Schweizer Alpen-Club SAC 1863 waren noch keine Frauen dabei. 1880 stellte man sich die Frage, ob Frauen dem Club beitreten dürften oder nicht. Die Argumente der konservativen Gegner überwogen und es wurde schliesslich den Sektionen überlassen, ob sie Frauen wenigstens als Passiv- oder Ehrenmitglieder aufnehmen wollten. 1907 wurden Frauen ganz aus dem SAC ausgeschlossen, was 1918 zur Gründung des Schweizerischen Frauen-Alpen-Club SFAC führte. Bereits drei Jahre später zählte der SFAC rund 700 Mitglieder.

Mitgliederausweis des Schweizerischer Frauen-Alpen-Club
Ein noch leerer Mitgliederausweis und Pins des SFAC (Quelle: Alpines Museum der Schweiz)

1963 hatte der SAC bereits 44’500 (männliche) Mitglieder. Und nachdem 1971 die Schweiz als eines der letzten europäischen Länder endlich das Frauenstimmrecht eingeführt hatte, dauerte es nochmals neun Jahre, bis der SAC und der SFAC 1980 fusionierten. Mit der Fusion stieg die Mitgliederzahl des Clubs sprunghaft auf fast 70’000.

Heute machen die Frauen rund 40 Prozent aller SAC-Mitglieder aus (DAV 42%; ÖAV 44%). Von 2013 bis 2021 wurde der SAC mit Françoise Jaquet dann erstmals von einer Frau präsidiert. Und seit November 2020 steht mit Präsidentin Rita Christen eine Frau an der Spitze des Schweizer Bergführerverbands. Und auch wenn unter den insgesamt fast 1600 Bergführern in der Schweiz aktuell «nur» 42 Frauen sind, stellen sie damit weltweit den höchsten Frauenanteil.

Mit Nicole Niquille wurde 1986 die erste Bergführerin der Schweiz diplomiert. Niquille war auf den höchsten Bergen der Welt unterwegs und inspirierte viele nachfolgende Alpinistinnen. Seit einem Bergunfall 1994 ist sie an den Rollstuhl gefesselt – doch Berge «besteigt» sie weiterhin. Am 3. Juli 2022 erreichte sie im Rahmen der «100% Women Challenge», unterstützt durch 16 Bergsteigerinnen, den Gipfel des 4164 Meter hohen Breithorns bei Zermatt.

Am 5. September 2022 wurde Nicole Niquille am «Tag der Querschnittlähmung» zudem von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung für ihre besonderen Leistungen als Bergpionierin geehrt.

Frauen sind heute fester Bestandteil im Bergsport

Und genauso wie bei ihren männlichen Kollegen gibt es unter ihnen welche, die Rekorde aufstellen oder Wände erklimmen, die vor ihnen noch niemand anderes geschafft hat. Lynn Hill zum Beispiel: Die Amerikanerin schaffte 1993 als erster Mensch die erste Rotpunktbegehung der Nose am El Capitan, 1994 kletterte sie «The Nose» an einem Tag frei. Unterdessen haben das natürlich auch Männer geschafft – einige davon aber in Begleitung ihrer Frauen. 😉

«Ich war sehr glücklich, die Erste zu sein, die es geschafft hat. Jeder wusste, dass es viele Männer zuvor vergeblich versucht hatten..»

– Lynn Hill in einem NZZ-Interview 2010

Auch in der Schweiz gibt es Bergsteigerinnen, vor deren alpinen Leistungen man nur den Hut ziehen kann. Zu den bekanntesten gehört sicherlich Evelyne Binsack. Die Extrembergsteigerin und Bergführerin durchkletterte unzählige Wände und stand schon auf den höchsten Gipfeln der Welt. Unter anderem durchstieg sie die Eiger-Nordwand im eisigen Winter, erreichte im Gipfel-Alleingang als erste Schweizerin den Mount Everest und leitetet Seilschaften durch die schwierigsten Alpenwände.

Internationale Topresultate feierten in letzter Zeit auch die Frauen in der Schweizer Nationalmannschaft im Sportklettern, namentlich Alexandra Eyer und Petra Klingler. Letztere feierte 2016 mit dem Weltmeistertitel im Bouldern ein Karrierehighlight. Historisches gelang ihr 2019 mit der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 als erste Schweizer Athletin überhaupt. Von den 14 Teammitgliedern im Schweizer Nationalteam sind aktuell sieben Frauen.

Berühmte Frauen am Berg

Tamara Lugner, die als jüngste Frau auf dem Gipfel des Lhotse stand.
Tamara Lunger stand als jüngste Frau auf dem Gipfel des Lhotse und als erste Südtirolerin auf dem K2. (Bild: zVg)

Eine kleine Auswahl an weiteren beeindruckenden Leistungen von Bergsteigerinnen:

Annie Smith Peck (*1850 – ✝︎ 1935)
Sie bestieg 1908 den Huascarán, der damals mit geschätzten 7300 m als höchster Berg Südamerikas galt und hielt bis zu dessen Höhenrevidierung den Höhenrekord für weibliche Bergsteiger, 1911 erstieg sie mit bereits 61 Jahren noch den 6452 m hohen Vulkan Coropuna.

Claude Kogan (*1919 – ✝︎ 1959)
Stellte 1954 mit 7800 m den Höhenrekord für Frauen auf. Leitete 1959 die erste reine Frauenexpedition im Himalaya. Sie kam am Cho Oyu ums Leben.

Junko Tabei (*1939 – ✝︎ 2016)
Die Japanerin war die erste Frau auf dem Mount Everest (1975) und erste Frau, die die Seven Summits bestieg (1992).

Pasang Lhamu (*1961 – ✝︎ 1993)
Sie stand 1993 als erste Sherpani und Nepalesin auf dem Mount Everest. Auf dem Weg zurück ins Basislager verstarb sie an Erschöpfung. In Nepal wird sie seitdem als Nationalheldin verehrt und wurde postum mit dem «Nepal Tara», der höchsten Auszeichnung des Landes, ausgezeichnet. Tara ist der Legende nach eine Sternengöttin.

Gerlinde Kaltenbrunner (*1970)
Die österreichische Bergsteigerin bestieg als dritte Frau alle Achttausender – aber als erste ohne zusätzlichen Sauerstoff. Sie zählt damit aktuell zu den erfolgreichsten Höhenbergsteigerinnen.

Daniela Jasper (* 1971)
Die deutsche Extrembergsteigerin schaffte u.a. die Erstbegehungen von Vol de Nuit am Mont Blanc du Tacul und Betablock Super (Eisklettern am grössten Wasserfall der Schweiz). Sie durchstieg zudem die Eiger-Nordwand auf vier verschiedenen Routen (Rekord bei den Frauen).

Edurne Pasaban (*1973)
Und auch sie gehört zu den aktuell erfolgreichsten Höhenbergsteigerinnen: Die Spanierin bestieg als zweite Frau alle Achttausender.

Ines Papert (*1974)
Die Deutsche ist die derzeit erfolgreichste Eiskletterin der Welt.

Als erste Frau, die alle Achttausender bestiegen hat, gilt die Südkoreanerin Oh Eun-sun (*1966). Allerdings bestehen grosse Zweifel an einer der Achttausender-Besteigungen; diese wird mittlerweile als «angefochten» in den Statistiken geführt. Sogar Ohs eigener Verband lehnt die Anerkennung des fraglichen Gipfelerfolgs ab. Somit wäre eigentlich Edurne Pasaban die erste und Gerlinde Kaltenbrunner die zweite Frau, die alle Achttausender bestiegen hat.


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